Beobachtungen, Gedanken & Ideen

Betr. Folk-Magazin Artikel in Ausgabe 6/09

In der Zeitschrift "Folk-Magazin" wurde der "Wunsch" geäußert "Wann kommt endlich der Musikant, der den Deutschen Volkstanz zeitgemäß spielt"? Darauf könnte ich als Volkstanz-Musikant schlicht und einfach zurückfragen "Was soll das Gedöns und was sind das für Volkstänzer, die solche Ansprüche oder gar Forderungen stellen?" Das wäre (mir) immerhin ein bisschen zu oberflächlich und auch unsachlich. Darüber hinaus klärt es die Situation nicht und ist somit nicht hilfreich.

Aber es gibt eine ganze Reihe von Antworten, die aber sicher nicht jedem aus der Szene, die solche Fragen stellt, schmecken würden. Da ist zuerst einmal die Feststellung, dass es sich vom Prinzip her beim Volkstanz nicht um einen Disco-Zeitvertreib – ich würde hier gar nicht ungern sagen "Zeit-Totschlägerei" - handelt, sondern wie bei anderen Völkern auch um eine mehr oder weniger historisch gewachsene Überlieferung unter einem Oberbegriff "Volkskunst". Dazu gehören etwa die Felszeichnungen unserer steinzeitlichen Vorfahren, die Seifenstein-Schnitzereien der Inuit, die Klöppelkünste verschiedener Regionen, die naive Malerei wie auch die Volkslieder und eben die Volkstänze. An all diese Volkskunst-Ergebnisse irgendeine Messlatte anzulegen verbietet sich aber; das wäre ein ausgesprochener Mangel an Achtung vor den Leistungen dieser Menschen – und daran hat die Menschheit lange genug gelitten. Diese Arbeiten haben sich aus den geschichtlichen Bedingungen heraus entwickelt, unter denen diese Menschen gelebt und ihre Kunst geschaffen haben.

Nun werden Volkstänze anderer Völker mit zum Teil großer Begeisterung ungefiltert bei uns in einem solchen Ausmaß getanzt, wie ich es auf meinen Reisen in keinem anderen Land, das auf Traditionen zurückgreifen kann, beobachtet habe. Ungefiltert soll heißen, dass man hier nicht fragt, ob da etwas "zeitgemäß" ist, obwohl bei uns nicht nur Tänze aus der Gegenwart ankommen. Und - was ist denn "zeitgemäß"? Etwa ein Abklatsch von oder eine Mischung mit dem, was so alle halbe Jahre als neueste Mode auf uns losgelassen wird, was man auf jeden Fall kennen und mitmachen muss, wenn man wer sein will? Wie viele "Tänzer" kennen denn heute noch Madison, Boogie Woogie, Twist oder was sonst noch alles auf dem Markt war und – schwerwiegender - wer tanzt es noch? Und so kann ich wahrscheinlich behaupten, dass der deutsche Volkstanz in seiner ursprünglichen Form eine größere aktive Anhängerschaft hat als all die viel moderneren Bewegungsmöglichkeiten aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Dabei möchte ich noch nicht einmal die Leute zu den Volkstänzern zählen, die in den sogenannten "Tanzhäusern" eine "Holsteiner Dreitour" dem Namen und der Ähnlichkeit der Musik nach absolviert haben, aber vom überlieferten Inhalt so weit entfernt waren wie ein Hund vom Jodeln. Aber da kam es ja auch nicht auf Volkstanz an (obwohl man das den Teilnehmern durch die Ansage des Titels des Tanzes gern einreden wollte), sondern auf Massenbewegung, wie an vielen Orten heutzutage.

Eine andere Richtung "zeitgemäß" wäre die musikalische Darbietung. Nach wessen Geschmack soll man sich dabei richten? Wo heute schon der Wert eines Menschen nach seiner Lieblingsgruppe eingestuft wird. Die auch morgen schon wieder weg vom Fenster ist … In diesem Zusammenhang gefragt: Wer kennt heute noch die damals (1950/60!) "zeitgemäßen" Bach-Bearbeitungen und Einspielungen eines Jacques Loussier (wer‘s’n das?) oder die hervorragenden Klassik-Arrangements (Sinfonien und Opernmusiken) eines Waldo de los Rios (nie gehört!)? Und dieser "Denke" sollen die Volkstanzmusiken zum Fraß vorgeworfen werden? Da wäre doch die logische Konsequenz "Wat de Bur nich kennt, dat fret hei nich", soll heißen: Wem heute irgendetwas nicht gefällt, darf, kann, soll doch daran vorbeigehen. Auf "Manipulatoren" (statt Multiplikatoren) kann der wirkliche Volkstanz verzichten. Wie von vielen Dingen auf dieser Welt soll man auch nicht vom Volkstanz erwarten, dass er eine Massenbewegung ist, werden kann oder gar wird. Auch das ist in anderen Ländern nicht anders, wenn auch in einigen davon sein Stellenwert unter der Bevölkerung größer ist als bei uns. Beispiel: Benny Andersson (für unwissende "Nur-Quengler": ein "ABBA"!) hat auch Volkstanzmusik geschrieben, und zwar durchaus recht eng an der Tradition – wo gibt es so etwas bei uns? Da werden die, die es könnten, schon sehr frühzeitig auf andere "Stil"(?)-Richtungen umgepolt. Volkstanz ist ja "braune Soße", wie ein Leserbriefschreiber des "Folk-Magazin" seine Mitmenschen aufklärte. Wo hatte er das wohl her?

Ähnliche Versuche in diese Richtung hat es ja auch in der klassischen Musik gegeben (siehe oben: Jacques Loussier oder Waldo de los Rios). Oder einige "moderne" Regisseure, die einen "Fidelio" oder die "Carmen" zeitnah auf die Bühne stellten. Sie haben auch kein jüngeres Publikum in die Opernhäuser gezaubert. Wenn Nigel Kennedy nach modern zu Mute ist, dann rockt er original und verfremdet nicht Mozart oder Mendelsohn. Daniel Hope hat im Interview erkennen lassen, wie wertvoll ihm die Schöpfungen der Klassiker sind, dass er so nahe wie möglich an deren Vorstellungen kommen möchte. Und kein Mensch geht in ihre Konzerte, weil sie mit der Wurst nach dem Schinken schmeißen, sondern weil sie ganz einfach gut sind. Und nur mit Qualität kann man heute Leute interessieren und locken. Und daran mangelt es vielen Volkstanzmusikanten, die sich in der Öffent-lichkeit präsentieren, ihre Instrumente aber nicht beherrschen. Da sind mir die weihnachtslieder-flötenden Kinder im Einkaufszentrum lieber!

So wie der Prophet nichts im eigenen Land gilt, gelten bei uns unsere Traditionen nichts mehr, manchen sind sie sogar gefährlich (siehe oben). Wer über diesen Zustand Tränen vergießt, ist wahrscheinlich viel eher "nicht ganz zeitgemäß". Denn Gründe dafür gibt es genug, aber diese zu ändern und sich damit seinem Wunschziel zu nähern, ist zumindest mit einer kurzfristigen Aktion nicht möglich. Darüber hinaus habe ich eine ganze Reihe ganz bis sehr junger Leute, die diesem "langweiligen Gehopse" unbekümmert anhängen, befragt, ob ihre Altersgenossen am Volkstanz Interesse bekämen, wenn er mit "modernerer" Musik angeboten würde, und ein glattes, klares und spontanes "Nein" als Antwort erhalten. Die sind durch die konstante Berieselung durch die Werbe-Industrie schon zu stark fixiert (damit lässt sich ja gut Geld verdienen!) und auch geistig nicht zu einem Umstieg bereit oder gar in der Lage.

Daneben vermisse ich eine Recherche, die das Gewünschte stützt. Jedenfalls ist es so, dass es auch heute wieder eine ganze Reihe "Macher" gibt – im norddeutschen Raum mehr als im traditionsverhafteteren Süden, so in Berlin, Hamburg oder Buchholz bei Hamburg. Dort werden seit 1958 bis regelrecht heute wirklich neue Tänze geschaffen, neue Tanzformen zu neuen Musiken, durchaus auch zeitbedingt beeinflusst, jedoch nicht gewollt verdreht. Einige davon haben schon einen ganz ordentlichen Ruf und Anhängerkreise bis nach Amerika und Japan. Bei anderen geht es nicht über kleine Veränderungen an oder Missbrauch von Vorhandenem hinaus, obwohl man gern verkündet, den deutschen Volkstanz "entstauben" zu wollen. Das stößt bei den "verhärteten" Vertretern des Volkstanzes natürlich kaum auf Gegenliebe, während andere offenbar gut damit leben, sicher eher, weil sie vom Hintergrund des Volkstanzes nicht wirklich etwas wissen und das ihnen Erzählte für bare Münze nehmen (müssen). Und: In Buchholz haben wir auch schon einmal etliche der guten, alten Volkstänze "verrückt verrockt" (Entschuldigung – ich kann dummerweise ein bisschen mehr als "langweilige" Volkstänze herunterdudeln …). Ergebnis: Bei einigen davon machte es richtig Spaß, aber es gibt nur ganz wenige Volkstänze, bei denen man das Überlieferte dann auch tanzen kann.

Das heißt: Wer etwas Neues haben will, muss etwas ganz Neues schaffen. Ich hatte bei anderer Gelegenheit schon einmal darauf verwiesen, dass unsere "Altvorderen" das nicht anders taten. Als zum Beispiel der Walzer oder die Polka "erfunden" wurden, wurden nicht etwa die damals vorhanden Tänze auf Walzer oder Polka "umgebaut", sondern man schuf neue Tänze mit den neuen Elementen. Am Alten herumdrehen und manipulieren erfüllt diesen Zweck nicht. Darauf müssen wir wohl noch ein bisschen warten: So, wie nicht jeder Fiedelstreicher ein Daniel Hope werden kann, kann auch nicht jeder Tänzer einen wirklich neuen Tanz schaffen. Und, um den Berliner Bürgermeister Wowereit zu zitieren: Das ist auch (ganz) gut so. Schrott hilft dem Volkstanz nicht weiter!

« zurück